Mikroplastik-Wie gefährlich ist es für unsere Gesundheit?

Dr. med. S. Taleh
Facharzt für Innere Medizin
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Ernährung
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Mikroplastik: Die unsichtbare Gefahr und ihre weitreichenden Auswirkungen auf unsere Gesundheit

Plastik hat unsere moderne Welt revolutioniert, aber es birgt auch Gefahren. Mikroplastik, winzige Plastikpartikel, die oft unsichtbar sind, befindet sich in immer mehr Lebensmitteln und ist sogar im Leitungswasser nachzuweisen. Diese Partikel gelangen nicht nur in unsere Umwelt, sondern auch in unseren Körper – und das in alarmierendem Ausmaß. Studien zeigen, dass wir jede Woche Plastik in Menge einer Kreditkarte konsumieren (1). Diese kontinuierliche Belastung führt dazu, dass sich Plastikpartikel in unseren Organen und Geweben ablagern und potenziell unsere Gesundheit beeinträchtigen.

In diesem Artikel gehe ich auf die Ursprünge von Mikroplastik, dessen gesundheitliche Auswirkungen und mögliche Maßnahmen zur Reduzierung der Exposition ausführlich ein. Die Frage, wie sich Mikroplastik auf unsere Umwelt und unseren Körper auswirkt, ist nämlich von globaler Bedeutung.

Was ist Mikroplastik?

Mikroplastik sind winzige Plastikpartikel mit einer Größe von weniger als fünf Millimetern, die durch den Zerfall größerer Plastikstücke (durch natürliche Oxidation) oder durch absichtliche Zugabe zu Konsumgütern wie Kosmetika und Reinigungsmitteln entstehen. Mikroplastik ist heute überall zu finden: in der Luft, die wir atmen, im Wasser, das wir trinken, und in der Nahrung, die wir zu uns nehmen. Diese Partikel sind so klein, dass sie in unseren Körper gelangen, ohne dass wir es bemerken. Dies geschieht über zwei Hauptwege: orale Aufnahme und Inhalation.


Quellen der Exposition

1. Wasser: Mikroplastik wurde in Leitungswasser und Flaschenwasser nachgewiesen. Eine Person, die ausschließlich Wasser aus Plastikflaschen trinkt, nimmt pro Jahr bis zu 90.000 Mikroplastikpartikel zusätzlich auf. Mikroplastik aus Wasser stammt entweder aus der Umwelt oder aus der Zersetzung der Plastikflaschen selbst. (4)

2. Lebensmittel: Mikroplastik wurde auch in Meeresfrüchten, Obst und Gemüse gefunden. Dies liegt daran, dass diese Produkte entweder in kontaminiertem Wasser wachsen oder durch mit Plastik belastete Böden und Luftpartikel verschmutzt werden.

3. Luft: Besonders in städtischen Gebieten ist die Belastung durch Mikroplastik in der Luft stark erhöht. Plastikfasern aus synthetischer Kleidung oder Reifenabrieb von Fahrzeugen tragen zu dieser Verunreinigung bei. Diese feinen Partikel werden dann eingeatmet und gelangen in die Lungen und ins Blut.

Ein normaler Mensch inhaliert und verschluckt normalerweise im Durchschnitt 150.000 Mikroplastik-Teilchen pro Jahr.

Die Frage, wie Mikroplastik auf lange Sicht in unseren Organen verbleibt, wird zunehmend dringlicher. Ein bedeutender Teil dieser Partikel wird nicht ausgeschieden, sondern lagert sich in lebenswichtigen Organen wie der Lunge, der Leber, in Spermien (2) und sogar im Gehirn (3) ab.

Gesundheitsrisiken durch Mikroplastik und assoziierte Chemikalien

Das größte Problem mit Mikroplastik ist nicht nur seine Präsenz, sondern die gesundheitlichen Auswirkungen, die es nach sich zieht. Mikroplastik fungiert oft als Träger von gefährlichen Chemikalien, die tief in unseren Körper eindringen können. Diese Chemikalien wie BPA (Bisphenol A), BPS, PFAS und Phthalate sind bekannt dafür, den Hormonhaushalt zu stören, den Stoffwechsel zu beeinträchtigen und die Fruchtbarkeit zu verringern. Doch das ist nur die Spitze des Eisbergs.

BPA und BPS

  • BPA und sein Ersatzstoff BPS sind weit verbreitete Industriechemikalien, die in vielen Kunststoffen enthalten sind. Diese Stoffe sind als endokrine Disruptoren bekannt, das heißt, sie ahmen natürliche Hormone (wie Östrogen) im Körper nach und stören so das empfindliche Gleichgewicht des Hormonhaushalts.
    BPA wird verwendet, um Kunststoffe wie Polycarbonat herzustellen, die oft in Wasserflaschen, Lebensmittelbehältern und Innenbeschichtungen von Konservendosen vorkommen.
  • Blutdruck: Studien zeigten einen Anstieg des systolischen Blutdrucks nach dem Trinken von Getränken in Dosen im Vergleich zu Getränken die im Glas abgefüllt waren innerhalb weniger Stunden. Dabei erhöhte sich die gemessene BPA-Konzentration im Urin auf über 1600% (5)
  • Fruchtbarkeit: In mehreren Studien wurde nachgewiesen, dass BPA die Spermienqualität bei Männern verringert und bei Frauen den Eisprung stören kann.
  • Schwangerschaft: BPA kann die Entwicklung von Föten beeinflussen. In der Plazenta wurde Mikroplastik nachgewiesen, was darauf hindeutet, dass auch ungeborene Kinder diesen Chemikalien ausgesetzt sind. Dies erhöht das Risiko für Entwicklungsstörungen und beeinträchtigt möglicherweise das Wachstum von Organen und Gehirn des Fötus.


Phthalate

Phthalate sind Weichmacher, die Kunststoffe flexibler und haltbarer machen. Sie kommen in Produkten wie PVC, Lebensmittelverpackungen, Vinylbodenbelägen, Spielzeug und Kosmetika vor.

  • Reproduktion: Phthalate wirken als Anti-Androgene, das heißt, sie blockieren die Wirkung von Testosteron. Dies kann bei Männern zu einer Verringerung der Spermienqualität, einer Verkürzung der Anogenitaldistanz bei Neugeborenen und einem erhöhten Risiko für Unfruchtbarkeit führen. (6)
  • Kindesentwicklung: Höhere Phthalatexposition während der Schwangerschaft kann zu Entwicklungsstörungen bei Kindern führen, einschließlich ADHS und Autismus.
  • Hormonstörungen: Phthalate beeinträchtigen die Produktion von Schilddrüsenhormonen, was den Stoffwechsel und die kognitive Entwicklung beeinflussen kann.

Per- und polyfluorierte Alkylsubstanzen (PFAS)

PFAS werden in wasser-, öl- und schmutzabweisenden Produkten wie Antihaft-Kochgeschirr, wasserabweisender Kleidung und Verpackungen verwendet.

  • Krebsrisiko: Langfristige Exposition gegenüber PFAS steht im Zusammenhang mit einem erhöhten Risiko für Nieren- und Leberkrebs.
  • Schilddrüsenfunktion: PFAS beeinträchtigen die Schilddrüsenfunktion, was zu Hormonstörungen und einer Beeinträchtigung des Stoffwechsels führen kann.
  • Immunsystem: PFAS können das Immunsystem schwächen, was das Risiko für Infektionen erhöht.
  • Fortpflanzung: PFAS stehen auch im Zusammenhang mit einer verminderten Fruchtbarkeit und können zu Schwangerschaftskomplikationen führen. (7)

Neurotoxische Auswirkungen und Gehirnprobleme

Besonders besorgniserregend ist, dass Mikroplastik die Blut-Hirn-Schranke überwinden kann. Diese Schranke dient normalerweise dazu, das Gehirn vor schädlichen Stoffen zu schützen. Studien haben jedoch gezeigt, dass besonders kleine Nanoplastik-Partikel in das Gehirn eindringen und dort Entzündungen und oxidativen Stress verursachen können. Diese Faktoren stehen im Zusammenhang mit neurodegenerativen Erkrankungen wie Alzheimer und Parkinson.
Eine Studie aus dem Jahr 2024 entdeckte, dass Mikroplastik in menschlichen Gehirnproben vorhanden war, wobei Patienten mit höheren Plastikmengen im Gehirn ein höheres Risiko für kognitive Störungen aufwiesen (3).


Kardiovaskuläre Risiken

Mikroplastik und die damit verbundenen Chemikalien wie Phthalate und BPA beeinflussen auch das Herz-Kreislauf-System. Eine Studie zeigte, dass Menschen, die Mikroplastik in ihren Arterienwänden aufwiesen, ein um 4,5-fach höheres Risiko für Herzinfarkte oder Schlaganfälle hatten.

Praktische Maßnahmen zur Reduzierung der Exposition

Trotz der allgegenwärtigen Präsenz von Mikroplastik gibt es Maßnahmen, die wir ergreifen können, um unsere Exposition zu minimieren. Diese Schritte können helfen, die Aufnahme von Mikroplastik zu reduzieren und die Auswirkungen auf unsere Gesundheit zu verringern.

1. Wasserqualität verbessern

Eine der effektivsten Maßnahmen ist die Installation eines Umkehrosmose-Filtersystems. Diese Systeme können bis zu 99,9 % der Mikroplastikpartikel aus dem Wasser entfernen und bieten auch Schutz vor anderen Schadstoffen wie Schwermetallen und Chemikalien.

2. Lebensmittelverpackungen vermeiden

Plastikverpackungen sind eine der Hauptquellen für Mikroplastik. Durch den Verzicht auf verpackte Lebensmittel und die Bevorzugung von frischen Produkten kann man die Aufnahme von Mikroplastik erheblich reduzieren. Darüber hinaus sollten Glasbehälter oder Edelstahl anstelle von Plastik verwendet werden, um Lebensmittel zu lagern.

3. Natürliche Fasern verwenden

Synthetische Fasern wie Polyester und Nylon sind große Verursacher von Mikroplastik, besonders beim Waschen. Kleidung aus Baumwolle, Leinen, Bambus oder Wolle sollten  gewählt werden, um die Freisetzung von Mikroplastik in die Umwelt und die Luft zu minimieren.

4. Plastik in der Küche vermeiden

Lebensmittel sollten nicht in Plastikbehältern erhitzt werden. Hitze beschleunigt die Freisetzung von schädlichen Chemikalien wie BPA in die Nahrung. Stattdessen sollten keramische, glasierte oder edelstahlbeschichtete Kochgeschirre gewählt werden.

5. HEPA-Filter nutzen

In geschlossenen Räumen können HEPA-Filter helfen, Mikroplastikpartikel in der Luft zu reduzieren. Diese Filter sind besonders in Gebieten mit starker Luftverschmutzung oder in Haushalten mit vielen synthetischen Textilien nützlich.


Fazit: Ein globales Problem mit individuellen Lösungen

Die weitverbreitete Präsenz von Mikroplastik stellt eine wachsende Bedrohung für die menschliche Gesundheit dar. Diese winzigen Partikel, die sich in unseren Organen und Geweben ablagern, haben das Potenzial, schwere gesundheitliche Schäden zu verursachen – von hormonellen Störungen über Herzkrankheiten bis hin zu Krebs. Doch es gibt Maßnahmen, die jeder Einzelne ergreifen kann, um die Belastung zu reduzieren und seine Gesundheit zu schützen.

Durch die Integration von Wasserfiltern, den Verzicht auf Plastikverpackungen und das Tragen von natürlichen Fasern können wir den Mikroplastikgehalt in unserem Alltag erheblich verringern. Gleichzeitig müssen wir als Gesellschaft auf politische und industrielle Lösungen drängen, um die Kunststoffverschmutzung insgesamt zu reduzieren.

Referenz:

1. Senathirajah, Kala et al. “Estimation of the mass of microplastics ingested - A pivotal first step towards human health risk assessment.” Journal of hazardous materials vol. 404,Pt B (2021): 124004. doi:10.1016/j.jhazmat.2020.124004

2. Li, Ning et al. “Prevalence and implications of microplastic contaminants in general human seminal fluid: A Raman spectroscopic study.” The Science of the total environment vol. 937 (2024): 173522. doi:10.1016/j.scitotenv.2024.173522

3. Campen, Matthew et al. “Bioaccumulation of Microplastics in Decedent Human Brains Assessed by Pyrolysis Gas Chromatography-Mass Spectrometry.” Research square rs.3.rs-4345687. 6 May. 2024, doi:10.21203/rs.3.rs-4345687/v1. Preprint.

4. Koelmans, Albert A et al. “Microplastics in freshwaters and drinking water: Critical review and assessment of data quality.” Water research vol. 155 (2019): 410-422. doi:10.1016/j.watres.2019.02.054

5. Bae, Sanghyuk, and Yun-Chul Hong. “Exposure to bisphenol A from drinking canned beverages increases blood pressure: randomized crossover trial.” Hypertension (Dallas, Tex. : 1979) vol. 65,2 (2015): 313-9. doi:10.1161/HYPERTENSIONAHA.114.04261

6. Meeker, John D, and Kelly K Ferguson. “Urinary phthalate metabolites are associated with decreased serum testosterone in men, women, and children from NHANES 2011-2012.” The Journal of clinical endocrinology and metabolism vol. 99,11 (2014): 4346-52. doi:10.1210/jc.2014-2555

7. Sunderland, Elsie M et al. “A review of the pathways of human exposure to poly- and perfluoroalkyl substances (PFASs) and present understanding of health effects.” Journal of exposure science & environmental epidemiology vol. 29,2 (2019): 131-147. doi:10.1038/s41370-018-0094-1

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